Als Theologe befasste ich mich lange mit theologischen Interpretationen von (biblischen) Texten. Dank mancher Reisen in den Nahen Osten und dank literarischer Zugänge zu kulturellen Kontexten der biblischen Bibliothek wurden mir weitere Verständnishilfen zuteil. Speziell erwähne ich hier Vergil mit seinem Werk Aeneis.
Es ist wohl kein Zufall, dass sich um die Zeitenwende in Rom – weit weg von Israel-Palästina – eine nicht ganz unähnliche generationsübergreifende Kooperation zwischen «Vater» und «Sohn» (wie später theologisch mit Gottvater und Gottsohn) anbahnt, mit dem erklärten Ziel, eine neue europäische Weltmacht zu kreieren, das Imperium Romanum. Dessen Protagonist: Aeneas, ein geflüchteter Trojaner.
Der römische Dichter Vergil (70-19) schickt sich in der Zeit von Kaiser Augustus (63 v.u.Z. – 14 n.u.Z.) und wohl in dessen Auftrag an, dem Schicksal einiger Trojaner in den Jahren nach der tatsächlichen oder mythischen Katastrophe in Troja nachzugehen. Sein Interesse gilt aber dem neuen Troja – also Rom. Damals war Rom zwar bereits eine Metropole und die Hauptstadt eines Weltreiches. Sie benötigte aber noch eine eigene Gründungslegende. Rom galt als Ableger Griechenlands oder als Nachfolger des alt-etruskischen Königsreichs, folglich konnte es sich nichts Spezielles einbilden.
Vergil (er-)fand mit der Aeneis eine Geschichte eines umfassenden Planes: er liess die Römer sich mit der Verliererseite, den Trojanern, identifizieren. Er setzte ein eigenständiges Gebilde gegen Griechenland, gegen die Sieger!
Aeneas, der Protagonist der Aeneis, war immerhin ein Sohn der Aphrodite / Venus und neben Hektor der hervorragendste Kämpfer im trojanischen Heer. Er rettete seinen Vater und floh auf Umwegen in einer Irrfahrt (!) in ein neues Troja, eben nach … Rom. Die Erzählung der Aeneis ist im 8. Jahrhundert angesiedelt, der Erzähler lebt 700 Jahre später im 1. Jahrhundert v.u.Z. So ist alle Zukunft bereits gesicherte Vergangenheit – typisch antike Geschichtsschreibung, wie sie auch in der biblischen Bibliothek praktiziert wurde, eine «invention of tradition», eine Geschichtsmontage. Aeneas wird in einer Heroensage der erste König von «Alba Longa», neben Rom gelegen. Rom bekommt somit eine eigene Geschichte in einer beeindruckenden Traditionslinie – ein narrativer Handstreich! Starke Literatur.
Parallelen zwischen Aeneas und Christus
Es gibt mindestens sieben literarische Parallelen zwischen der «Aeneis» von Vergil und den später verfassten Evangelien, insbesondere in der Darstellung von Aeneas und Christus. Beide Figuren werden als zentrale Protagonisten ihrer jeweiligen Geschichten dargestellt. Sie verkörpern wichtige Themen wie Opfer, Bestimmung und Gründung einer neuen Ordnung. Es ist anzunehmen, dass die (unbekannten) neutestamentlichen Autoren das Werk Vergils kannten sowie weitere berühmte Texte.
• Schicksal und Bestimmung: Sowohl Aeneas als auch Christus werden eine göttliche Bestimmung zugeschrieben. Aeneas wird von den Göttern auserwählt, um das römische Volk zu gründen, während Christus als der göttliche Messias kommt, um die Menschheit zu erlösen.
• Opfer: Aeneas zeigt oft die Bereitschaft, persönliche Opfer zu bringen, um sein Schicksal zu erfüllen, ähnlich wie Christus, der sein Leben für die Sünden der Menschheit opfert.
• Führung und Vorbild: Beide Figuren fungieren als Führer. Aeneas führt die Trojaner nach Italien in die Gegend von Rom, während Christus seine Anhänger:innen auf den «Weg des Glaubens» führt – «der letzte der Apostel», Paulus, jedoch wird nach Rom gefahren, auch Simon Petrus soll laut Legende dort angekommen sein.
• Wunder und übernatürliche Elemente: In beiden Erzählungen gibt es übernatürliche Eingriffe. Aeneas erhält Unterstützung von Göttern, während Christus Wunder vollbringt und damit göttliche Autorität demonstriert.
• Themen der Hoffnung und Erlösung: Beide Geschichten thematisieren Hoffnung und die Aussicht auf eine bessere Zukunft. Aeneas’ Reise ist eine Suche nach einer neuen Heimat, während die Evangelien die Hoffnung auf ewiges Leben und Erlösung durch Christus vermitteln.
• Kaiser Augustus: Jesus wird im Lukas-Evangelium zur Zeit von Kaiser Augustus geboren. Vergil soll im Auftrag von Kaiser Augustus die Aeneis schreiben.
• Spezieller Ort: in der Aeneis wird Troja zum Ausgangsort für das spätere grosse Imperium Romanum. Für Christen ist Jerusalem ein ganz spezieller heiliger Ort, das gilt auch für Juden und Muslime.
Solche Parallelen zeigen, wie literarische und religiöse Traditionen miteinander verwoben werden und wie sie universelle Themen des menschlichen Erlebens ansprechen. Am Beispiel der Aeneis lässt sich erkennen, dass Kunst, Kultur und Politik im alten Rom in enger Verbindung standen. Rom nimmt Elemente der griechischen Kultur an und bemächtigt sich der mythischen, technischen, planerischen Fähigkeiten wie Theater, Arena, Baukunst, Lyrik, Plastik, Malerei usw. Griechische Künstler zogen nach Rom in den neuen Brennpunkt des Reiches – Rom «versank» im Hellenismus, verstand sich dank der Aeneis als Troja Punkt 2. Und die katholische Kirche nannte sich nach dem Untergang des weströmischen Kaisertums ab spätem 5. Jahrhundert römisch-katholische Kirche. So behauptete sie sich als Nachfolgerin eines ehemals grossen und mächtigen Reiches, das seinen österlichen Ursprung in Jerusalem hatte.
Geniessen Sie den Frühlingsvollmond am 13. April sowie schöne Frühlingstage!
-
Neueste Beiträge
Neueste Kommentare
- Kurt Buenzli bei Spannendes mit Schweizer Geschichte(n)
Archiv
- April 2025 (1)
- März 2025 (1)
- Februar 2025 (1)
- Januar 2025 (1)
- Dezember 2024 (1)
- November 2024 (1)
- Oktober 2024 (1)
- September 2024 (1)
- August 2024 (1)
- Juli 2024 (1)
- Juni 2024 (1)
- Mai 2024 (1)
- April 2024 (1)
- März 2024 (1)
- Februar 2024 (1)
- Januar 2024 (1)
- Dezember 2023 (1)
- November 2023 (2)
- September 2023 (1)
- August 2023 (1)
- Juli 2023 (1)
- Juni 2023 (1)
- Mai 2023 (1)
- April 2023 (1)
- März 2023 (1)
- Februar 2023 (1)
- Januar 2023 (1)
- Dezember 2022 (1)
- November 2022 (1)
- Oktober 2022 (1)
- September 2022 (1)
- August 2022 (1)
- Juli 2022 (1)
- Juni 2022 (1)
- Mai 2022 (2)
- April 2022 (1)
- März 2022 (1)
- Februar 2022 (1)
- Januar 2022 (2)
- Dezember 2021 (1)
- November 2021 (1)
- Oktober 2021 (1)
- September 2021 (1)
- August 2021 (1)
- Juli 2021 (1)
- Juni 2021 (1)
- Mai 2021 (1)
- April 2021 (1)
- März 2021 (1)
- Februar 2021 (1)
- Januar 2021 (1)
- Dezember 2020 (2)
- November 2020 (1)
- Oktober 2020 (1)
- September 2020 (1)
- August 2020 (1)
- Juli 2020 (1)
- Juni 2020 (1)
- Mai 2020 (1)
- April 2020 (1)
- März 2020 (2)
- Februar 2020 (1)
- Januar 2020 (1)
- Dezember 2019 (1)
- November 2019 (1)
- Oktober 2019 (1)
- September 2019 (1)
- Juli 2019 (1)
- Juni 2019 (1)
- Mai 2019 (2)
- März 2019 (1)
- Dezember 2018 (1)
- November 2018 (1)
- September 2018 (1)
- August 2018 (2)
- Juli 2018 (1)
- Mai 2018 (1)
- April 2018 (1)
- März 2018 (2)
- Februar 2018 (2)
- Januar 2018 (2)
- Dezember 2017 (4)