Es war im Jahr 1960. Als 8-jähriger Bub stand ich in Frauenfeld an der Strasse und schaute einem grossen Umzug zu. Der Kanton Thurgau feierte sein 500-Jahre-Jubiläum. Drei Jahre später belegte ich in einer Geografie-Prüfung in der 5. Klasse einen der ersten Ränge. Thema: der Thurgau. Der Preis: mit dem Lehrer im Auto durch den Heimatkanton fahren. Ich war stolz, natürlich.
Nach und nach lernte ich in der Schweizergeschichte, dass ein Teil des Thurgaus 1460 von den alten Eidgenossen auf dem Thurgauerzug erobert worden war. Mitten drin beim Kampf um den Ort Diessenhofen und das Kloster St. Katharinental befand sich als Rottenführer oder Bannerträger ein gewisser Niklaus von Flüe aus Obwalden. Soso… Die Innerschweizer Soldaten galten als harte und brutale Burschen.
Im Juni 2007 leitete ich in der Pfarrei Köniz eine Reise nach Umbrien und in die Toscana. Eines der Ziele: Pienza, das ehemalige Corsignano in der Nähe von Siena.
Pienza geht auf Papst Pius II. zurück. Nachdem Enea Silvio Piccolomini 1458 als Kompromisskandidat und Aussenseiter zum Papst gewählt worden war, liess er seinen Geburtsort Corsignano durch den Architekten Bernardo Rossellino zu einem exemplarischen Schauplatz der beginnenden Renaissancearchitektur umbauen. Und Papst Pius II. nannte den Ort neu Pienza, Piusstadt. Im Juni 2007 vor dem Palazzo Piccolomini stehend konnte ich als Thurgauer nicht anders, als den Papst posthum zu tadeln. Er war es nämlich, der die Eidgenossen zu einem Feldzug in den Thurgau ermunterte. Was sie denn auch taten. Sie eroberten 1460 Gebiete wie Diessenhofen und Frauenfeld, die dem Haus Habsburg gehörten, wobei damals nur eine Anzahl Höfe und Dörfer unter habsburgisch-österreichischer Verwaltung standen. Indirekt konnte der Papst den Habsburgern so eins auswischen, er kannte sie von seiner früheren Tätigkeit als Sekretär Friedrich des III. aus dem Hause Habsburg und musste wohl noch eine Rechnung begleichen… Und die eidgenössischen Orte schafften es endlich, am Rhein eine neue Grenze zu ziehen. Der Thurgau wurde zur Gemeinen Herrschaft und wechselweise von den eidgenössischen Vögten der sieben und ab 1712 acht (mit Bern) Alten Orte verwaltet und ausgebeutet.
Tatsächlich war der Thurgau im 15. Jahrhundert ein herrschaftspolitischer Flickenteppich. Der Bischof und das Domstift Konstanz, die Reichsstadt Konstanz, die Abtei und die Stadt Sankt Gallen, die Abtei Reichenau sowie andere geistliche Institutionen und Adlige spielten je eine kleine Rolle. Arbon und Bischofszell beispielsweise gehörten dem Bistum Konstanz.
Der Thurgau im späten Mittelalter lohnt einen längeren Text. Zum Thema liegt neue Literatur vor. In meiner Werkstatt mache ich mich bald daran.
Nun komme ich zum Jahr 1460 zurück und zu Papst Pius II., zu Enea Silvio Piccolimini. Als Renaissance-Papst war es ihm ein Anliegen, Wissenschaft und Bildung zu fördern. Und da er die Stadt Basel von Aufenthalten am Konzil von Basel (1431 – 1449) – auch hier war er als Sekretär tätig – kannte, stiftete er als Papst mit einer Päpstlichen Bulle 1459 die Universität Basel. Am 4. April 1460 wurde sie feierlich eröffnet, vorerst mit vier Fakultäten.
Meine Beschäftigung mit dem Jahr 1460 und mit dessen Kontext könnte an weiteren spannenden Fäden ziehen. Ich verweise nur auf zwei:
– Lesen Sie in der Rubrik „Lauf der Zeit“ unter Philosophie den Hinweis zum Buch von Bernd Roeck, Der Morgen der Welt. Geschichte der Renaissance. Die drei Seiten sind überschrieben mit „Kreative Explosionen zwischen 1400 und 1600“.
– Lesen Sie das Buch von Volker Reinhardt, Pius II. Piccolomini. Der Papst, mit dem die Renaissance begann. Eine Biografie, C.H. Beck, München 2013, 392 Seiten mit 33 Abbildungen und 2 Karten.