Austreten? Streiken? Ignorieren? Forderungen stellen? Fröhlich leben?
Sechs prominente Frauen aus der deutschsprachigen Schweiz sind im November 2018 aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten. Ich kenne die meisten seit Jahrzehnten und kann ihren Schritt persönlich verstehen.
Austreten ist eine der Möglichkeiten. Aktuell bezeichnen sich knapp 25 Prozent aller Menschen in der Schweiz als konfessionslos. Deren Zahl dürfte weiter steigen. Nicht nur Konfessionslose, auch zahlreiche Mitglieder der Landeskirchen ignorieren, was von Amtsträger*innen kommt.
Am 14. Juni 2019 findet in der Schweiz der nächste Frauenstreik statt. Ich kenne Frauen, die wiederum – wie 1991 – dabei sein werden. Ein wichtiges Zeichen! Kirchlich engagierte Frauen schliessen sich dem Frauenstreik ebenfalls an. Und weiten ihren Protest gleich auf das Wochenende vom 15./16. Juni aus. Ihr Motto: „Gleichberechtigung. Punkt. Amen.“ Beim Frauenkirchenstreik werden Frauen pinkfarbene Mitren tragen, die bischöfliche Kopfbedeckung. An den Füssen ziehen sie Stiefel an. Damit weisen sie auf den „Sumpf“ der Amtskirche hin. Federführend ist bei dieser Aktion der Schweizerische Katholische Frauenbund mit 130’000 Frauen in 600 Vereinen.
Bereits seit heute, 11. Mai 2019, läuft in Deutschland die kirchliche Streikaktion „Maria 2.0“. Sie wurde von Frauen im westfälischen Münster ins Leben gerufen und dauert bis zum 18. Mai. Sie fordern die konsequente Verfolgung und Offenlegung von sexuellen Missbrauchsfällen, freien Zugang zu allen Kirchenämtern auch für Frauen und eine Sexualmoral, welche die Lebenswirklichkeit der Menschen wahrnimmt. Vor allem über Facebook rufen sie Frauen in Deutschland auf, mit zu streiken. Engagierte Frauen kämpfen für Gleichberechtigung, fordern von der Amtskirche die Aufhebung des Pflicht-Zölibats sowie mehr Transparenz und Glaubwürdigkeit von der katholischen Kirche.
Heute ging in Mainz die Frühjahrsvollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken zu Ende. An der VV hörte man einen Satz, den man in der katholischen Kirche selten hört: „Wir Bischöfe kommen allein nicht weiter“. Dies sagte der Hamburger Erzbischof Stefan Hesse. „Wenn wir weiter kommen wollen, dann nur gemeinsam“, so Hesse weiter. Er warb damit offensiv für eine Beteiligung der Laien-Vertretung an dem von deutschen Bischöfen vorgeschlagenen „synodalen Weg“ zur Erneuerung der Kirche. Interessant (sarkastisch gemeint)… Denn auf welchem Planeten lebt dieser Herr? Seit Jahrzehnten – seit der Synode in Deutschland, seit der Synode 72 in der Schweiz – wird eine Zusammenarbeit von kirchlichen Kadern und Basis in manchen Institutionen, Bildungszentren, Pfarreien und ökumenischen Projekten mehr oder weniger intensiv umgesetzt. Klar, es gibt Bischöfe, die eine Mitarbeit von „Laien“ (welch furchtbarer Begriff) nur in engen Grenzen sehen…
In der Schweiz tragen bisher über 300 Theolog*innen und Seelsorger*innen eine weitere aktuelle Aktion mit. Sie trägt die Überschrift „Eine Kirche umfassender Gleichheit“. Mitte Juni trifft sich eine Delegation mit Bischof Felix Gmür, Präsident der Schweizer Bischofskonferenz. Sie wird 20 Forderungen mitbringen, eine lange Liste. Selber wollen sich die Unterzeichnenden weiterhin engagiert und aktiv einbringen für eine nicht-klerikale Kirche neuer Glaubwürdigkeit. Obwohl sie es satt haben, dass viele Anliegen der Basis zwar seit Jahrzehnten auf kirchlichen Traktandenlisten stehen, dass aber mit Reformabsichten nicht wirklich ernst gemacht wird.
Die Schwierigkeiten solcher Gespräche, ja die Unmöglichkeit einer Verständigung, die grosse Spannung zwischen Amtskirche und Basiskirche beleuchtet der Jesuit Medard Kehl in seinem Buch „Wohin geht die Kirche?“. Er unterscheidet drei spirituelle Milieus, drei Kirchenbilder. Sie passen nicht unbedingt zusammen.
– Kirche als Identifikationsfigur. Das bestimmende Kirchenbild ist die „eccclesia“, die „Frau“ im Gegenüber zu Christus Es geht um Identifikation mit der Kirche. Da hat nichts Negatives Platz, Kirche ist ja „Braut Christi“, „Jungfrau“, „Gattin“, „Mutter“. Dieses Kirchenbild stammt aus der Patristik, aus dem 3. bis 5. Jahrhundert – und ist im Vatikan, in Ordensgemeinschaften, in geistlichen Bewegungen immer noch prägend. Die Kirche wird „symbolisch-personifiziert“ gesehen. Strukturen spielen keine Rolle, mystischer Reichtum zählt..
– Kirche als Zufluchtsort. Hier ist das bestimmende Kirchenbild die Kirche als autarke Heilsvermittlerin. Es ist eine societas perfecta, eine perfekte Gesellschaft. Es geht um Integration durch Geborgenheit und Gehorsam. Die Autoritäten (Papst, Bischöfe, Priester) sind zentral und gut, machen keine Fehler. Auch das prägt den Vatikan und viele Bischöfe auf der ganzen Welt. Die Kirche ist „petrifiziert“. Dieses Kirchenbild kommt vor allem dort zum Tragen, wo die katholische Kirche verfolgt wird, in einer Minderheitsposition wirkt und ihre Umwelt als „feindlich“ gesinnt interpretiert. „Ausserhalb der Kirche gibt es kein Heil“, hiess es in der Gegenreformation im späten 16. Jahrhundert. In diesem Bild zählen feste Strukturen, straffe Ordnung, Uniformität. Ein Dialog mit der Gesellschaft findet nicht statt.
– Kirche als Hoffnungszeichen. Hier ist das bestimmende Kirchenbild – formuliert in einigen Dokumenten auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) – eine pilgernde Weggemeinschaft zum Reich Gottes. Auf diesem Unterwegs-Sein gibt es Umwege, Sackgassen, Bergwege, Autobahnen usw. Es zählt synodale Kommunikation nach aussen wie nach innen. Auch Partizipation ist zentral. Kirche versteht sich als „synodale Kirche“. Offenheit und Ökumene gehören zum Alltag. „Communio“ wird gelebt.
Das erste und das zweite Kirchenbild sind mit dem dritten nicht kompatibel. Unmöglich! Das dritte Kirchenbild jedoch kann (vielleicht) das erste und zweite Kirchenbild einordnen, als einen Teil des Ganzen betrachten. Das erste und zweite Kirchenbild zusammen versteht sich hingegen in sehr vielen Verlautbarungen als die einzig „richtige“ Kirche. Es ist die Amtskirche mit ihren überzeugten Anhänger*innen. Darum bewirken Aufrufe, Forderungen, Streikaktionen aus der synodalen Kirche bisher nichts (was die letzten Jahrzehnte bestätigen).
Was bleibt? Kirche fröhlich als Hoffnungszeichen leben!