Religiöse Landschaften durchwandern

In meinem Auftreten verkörpere ich für andere einen bestimmten Typ. Andere schätzen mich ein, ordnen mich zu aufgrund ihrer Kenntnisse oder Vermutungen über mich Typisch Markus, heisst es hie und da. Dass ich mehr als eine Rolle spiele, dass ich mehr als eindimensional bin (Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?), geht im Augenblick einer kurzen Begegnung vergessen.

Ich gehe einkaufen. Ich verfolge ein Fussballspiel. Ich stöbere durch einen Kiosk mit Hunderten von Zeitschriften und Zeitungen. Ich benutze Mobility. Ich gehöre zur katholischen Kirche. Ich steige auf Berge. Ich spiele mit kleinen Enkelkindern. Ich arbeite für mein Büro. Ich besuche mit meiner Frau alte Freunde. An jedem Ort wird mein Typ wohl unterschiedlich wahrgenommen. Und das ist gut so.

Mit Typen, mit Typologien befassen sich in der Schweiz seit 1989 Studien, die in regelmässigen Abständen religiöse Landschaften erkunden. JedeR einzelne ist ja nicht nur ein Sonderfall (laut eigener Einschätzung), sondern Teil von wenigen bekannten und vielen unbekannten Gleichgesinnten. Gemeinsam zeigen „wir“ etwas Typisches. In kulturellen Themen. In politischen. In religiösen.

Soeben habe ich einen Text fertig gestellt. Er umfasst 20 Seiten unter der Überschrift „Alltagschristen, Humanisten, moderne Kirchenchristen und eine grosse Vielfalt in der religiösen Landschaft“. Hier kann er gelesen werden oder auch unter der Rubrik Mikroskop in der Abteilung Gesellschaft.

Die 20 Seiten weisen auf mehrere religionssoziologische Studien hin sowie auf Zahlenmaterial des Bundesamtes für Statistik zur Religionslandschaft in der Schweiz. Ich gehe auf den Text insofern ein, dass ich seinen Schluss zitiere. Dort findet sich keine religionssoziologische Studie, keine Untersuchung.
Dort versuche ich, Typologien von Leuten zu beschreiben, sie sich mit Fussball befassen. Konkret mit „meinem“ Verein, dem FC  Luzern. Ich bin ein Fan mit Accessoires in den Clubfarben blauweiss.

Vergleiche ich nun Äpfel mit Birnen, wenn ich meine 14 Fussball-typischen Beobachtungen mit Beobachtungen einer religiösen Gemeinschaft verbinde? Da bin ich mir nicht ganz sicher. Ich überlasse es den Leserinnen und Lesern, Analogien herzustellen.
Hier meine persönliche 14er-Fussballclub-Typologie:

  • Club-Mitglieder, die ihren Jahresbeitrag entrichten und wenn möglich an Vereinsversammlungen gehen
  • Fans, die jedes Spiel verfolgen, sei es auf dem Platz, am Radio, im TV oder im Internet. Auch Vorschauen, Analysen und Personaldiskussionen sind bedeutsam.
    Beim Fan unterscheide ich vier Untergruppen:
    – Ultras / Hooligans mit Gewaltbereitschaft + Provokationen
    – Fans mit Pyros, die sie verbotenerweise trotzdem zünden
    – Fans mit Clubfarben und Accessoires
    – Fans mit ziviler Kleidung
  • Begleiter*innen, die als Eltern oder Paten ein Fan-Kind ins Stadion begleiten
  • Anhänger*innen, die hie und da ein Spiel verfolgen, vor Ort oder medial
  • Kund*innen, die ausgewählte, „wichtige“ Spiele verfolgen
  • Sympathisant*innen, die ein positives Interesse am Club zeigen
  • Konkurrent*innen, die einen anderen Club, eine andere Sportart bevorzugen
  • Gegner*innen, die das Fussball-Spiel prinzipiell ablehnen, weil es in einem korrupten oder ungesunden Mass funktioniert
  • Kulturinteressierte, die den Fussball und den FCL wortreich mit Theater, mit Orchestermusik, mit Liturgie, mit Aktionskunst vergleichen
  • Quasi-Religiöse, für die Gott rund ist und jeder Sieg ein Hochamt
  • Unbeteiligte, die dem Fussball an sich indifferent gegenüberstehen und kein Interesse zeigen

Beim Durchgehen meiner persönlichen 14er-Fussballclub-Typologie tauchen vor mir Gesichter auf, die ich vom Fussballstadion kenne. Und vor mir tauchen Gesichter auf, die ich von meiner Arbeit in Pfarreien kenne.

Die religionssoziologischen Studien unterscheiden jeweils weniger als 14 Typologien.
Kann es sein, dass der Fussball komplizierter ist als, beispielsweise, die katholische Kirche? Eine steile These, ich weiss.

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