Der 12. September ist keine Alternative

Der Nationalrat befürwortet ihn mit knapper Ja-Mehrheit. Der Ständerat muss noch entscheiden. Der Bundesrat ist dagegen. Es geht um einen neuen – einen zweiten? – Nationalfeiertag. Es geht um den 12. September. Warum gerade dieser Tag? Der 12. September 1848 gilt als Geburtstag der modernen Schweiz.

An diesem Tag vor 175 Jahren nahm die Tagsatzung eine neue Bundesverfassung an, ausgearbeitet von einer Kommission mit 23 Mitgliedern. Jeder Stand stellte 1 Mitglied, ausser das katholische Appenzell und das fürstliche Neuenburg. Eigentlich wollte in den damals unruhigen Zeiten – im November 1847 fand ein Bürgerkrieg statt, der Sonderbundskrieg – niemand eine neue Verfassung. Die Konservativen, die den Bürgerkrieg verloren, standen für den Status quo ein. Einige von ihnen hofften, dass die Habsburger intervenieren. Die reformierten Zentren mit Zürich und Bern favorisierten ein Einkammerparlament mit einem einzigen Wahlkreis. Das hätte den industrialisierten Kantonen Vorteile gegenüber den kleinen Urkantonen gegeben. Linke Radikale aus der Westschweiz riefen die Eidgenossen auf, die Neutralität zu begraben und den Revolutionären in den Nachbarstaaten zu Hilfe zu eilen.

In Europa war die politische Atmosphäre ziemlich aufgeheizt. Nur der neuen Schweiz gelang ein liberaldemokratischer Aufbruch, wie es Urs Hafner in der NZZ vom 11. April 2023 schildert. Hier setzte sich als Kompromiss ein Zweikammersystem durch, inspiriert von den USA. Man sah darin jedoch ein Provisorium, ein Unding. Begeistert von der neuen Verfassung war niemand. Auch an ihren Erfolg glaubte niemand. Doch dank kämpferischer liberaler Katholiken aus der Innerschweiz, die dort in der Minderheit waren, konnte die moderne Schweiz entstehen Keine Rolle spielten in der Verfassung von 1848 Frauenstimmrecht und direkte Demokratie, verankert wurde aber die Diskriminierung der Juden. In der Volksabstimmung sagte die Mehrheit der Kantone Ja zur neuen Verfassung. Abgelehnt wurde sie von Uri, Schwyz, Ob- und Nidwalden, Zug, Wallis, Tessin und Appenzell Innerrhoden. Luzern und Freiburg nahmen sie an, weil Luzern die Nichtstimmenden (!) zu den Ja-sagenden zählte und in Freiburg der Grosse Rat das Volk überging. Am Dienstag, den 12. September 1848, erklärte die Tagsatzung die neue Bundesverfassung für angenommen – und löste sich auf.

Mit diesem für die Schweiz historischen Datum wandelte sich der eidgenössische, lose Staatenbund zum schweizerischen Bundesstaat, mit Bern als Bundesstadt (und nicht als Hauptstadt!). Das Streiten um praktikable Formen der Demokratie konnte weitergehen. Noch immer gibt es in unserem Land ein konservativ, ein liberal und ein radikal gelesenes 1848. Immerhin ist zu sagen, dass mit „1848“ ein gesamtschweizerischer Wirtschaftsraum geschaffen wurde, ein Modell, das sich bis heute bewährt und unsere Region aus einem Armenhaus (vor 1848) in die Spitzengruppe des Wohlstandes katapultierte. Auf diesem Hintergrund ist (fast) nicht zu verstehen, warum sich Schweiz mit dem Wirtschaftsraum EU so schwer tut. Föderalismus, direkte Demokratie, Landwirtschaft scheinen als typisch schweizerische (Neben-)Mythen ebenfalls stark zu wirken.

Auf Zwang und Konsens gebaut

Zu 1848 sagt der Historiker Georg Kreis knapp, deutlich und zum Nachdenken anregend: „Die Schweiz ist auf Zwang und Konsens gebaut.“ In den besiegten konservativen Kantonen sei viel Zwang am Werk gewesen: Auferlegung einer drastischen Kriegssteuer, Installation einer Minderheitsregierung, politische Repression, Einschränkung des Petitionsrechts, Manipulationen der Nationalratswahlen. Die Schwyzer blieben ihrer Opposition gegen den neuen Bundesstaat treu und lehnten weitere Verfassungsrevisionen ab: 1872, 1874 und 1999. Die historischen Nein-Sager behielten speziell im Ständerat und durch die 1891 eingeführte Volksinitiative starkes Gewicht.

1891 ist auch das Jahr, in dem der 1. August als Nationalfeiertag installiert wurde (der erst seit 1993 ein „ganzer“ Feiertag ist!). Es war 1891 ein Geschenk an die konservative Innerschweiz, um sie ein Stück weit in den liberalen Staat zu integrieren. Mit dem Gründungsmythos vom 1291, mit der Legende vom Rütlischwur der drei Eidgenossen, erhielten sie ein Stück symbolische Geschichtserfindung zuerkannt. Dieser heute unpolitische Gründungsmythos hält bis in die Gegenwart.

Selbstverständlich braucht die Schweiz für Gestaltung ihrer Zukunft mehr von „1848“ als von „1291“. Doch „1848“ überzeugt mich, wie oben kurz beschrieben, trotzdem nicht. Ich kann aber kein neues Datum vorschlagen, das aktuell besser geeignet wäre als der 1. August oder der 12. September. Und ein zukunftsfähiges konkretes Datum eines EU-Beitritts der Schweiz als neuen Nationalfeiertag sehe ich (als ehemaliges Mitglied der Europa-Union) weder in Gedanken noch in Träumen (von mir und anderen). Eigentlich schade.

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