Vor wenigen Tagen erhielt ich das Jahrbuch 2017/2018 der Schweizerischen St. Lukasgesellschaft für Kunst und Kirche (SSL). Jedes zweite Jahr erscheint eine Doppelnummer. Nun liegt die fünfte Ausgabe vor. Sie trägt den mehrdeutigen, vielleicht sogar irritierenden Titel BILD LOS und umfasst 84 kunstvoll gestaltete, grossformatige Seiten mit zahlreichen Bildern. Es ist ein Vergnügen, darin zu blättern, zu lesen, zu schauen! Als langjähriges SSL-Mitglied freue ich mich, dass der aktuelle Vorstand wiederum ein anregendes Kunststück Kunst geschaffen hat.
Der ersten vier Texte kreisen um BILD LOS. Peter Spichtig, als Beispiel, beginnt bei Meister Eckhart (ca. 1260 – 1328), der im geistlichen Leben Bildlosigkeit anstrebte. Zudem postulierte der Mystiker eine „negative Theologie“: keine Eigenschaft, kein Bild könne Gottes Grösse gerecht werden, von Gott könne nur gesagt werden, was und wie diese Grösse nicht sei. Eckharts Schüler Heinrich Seuse (1295 – 1366) bietet dann Bilder an, „auf dass Bilder mit Bildern ausgetrieben werden“ und steuert seinen Schriften eigene Bildtafeln bei. Als drittes Beispiel nennt Peter Spichtig Niklaus von Flüe (1417 – 1487) mit dessen abstraktem Radbild sowie mit der erweiterten und ausgemalten Variante. Beide gelten bis heute als viel verwendete Mediationsbilder.
Der Autor schliesst seinen Essay mit Thesen zum Umgang mit (Gottes-)Bildern in der Bildenden Kunst. Das biblische Bilderverbot (Exodus 20,1-6) ziele darauf ab, es sich mit Gott nicht zu einfach zu machen. Als Lösung des Dilemmas, wie wir als bildhafte Menschen möglichst bildlos werden können, brauche es nicht weniger, sondern mehr Bilder, um ja keiner Fixierung zu erliegen. Daher: Festgefahrene Bilder austreiben mit neuen Bildern! Das ist, das wäre ein kunstvolles Anliegen der SSL. Es gelingt, soweit ich es überblicken kann, hie und da.
Das Jahrbuch greift darum in drei Texten, wiederum beispielhaft, Kunst und Kirche konkret auf. Einige davon habe ich selber gesehen. In der ehemaligen Rokokokirche der Kartause Ittingen – heute beherbergt sie das Kunstmuseum Thurgau – zeigte das Künstlerkollektiv Blablabor die Klanginstallation „Radio 1-7_ordnen“, eine akustische Schöpfungsgeschichte mit 7 x 7 UKW-Radios.
In der reformierten Kirchgemeinde Zürich Witikon fanden in Zusammenarbeit mit der SSL achtzehn Ausstellungen mit fünfzehn Kunstschaffenden statt. Gern erinnere ich mich an die Installationen von Hans Thomann. (Er war auch Berater und Kunstschaffender bei der Renovation der katholischen Kirche in Burgdorf.) Mit Buchstaben aus Bibeltexten, mit Bibelworten, mit Bibelausgaben inszenierte er augenfällige Kunstwerke im Kirchenraum – das Jahrbuch dokumentiert sie.
Im dritten Teil kommen weitere SLL-Kunstschaffende zu Wort, zu Bild, u.a. die Bildaskese des Malers Ferdinand Gehr (1896 – 1996). Das Kunstmuseum Olten zeigte im Jahr 2017 die Ausstellung „Ferdinand Gehr – Bauen an der Kunst“. Die SSL organisierte für ihre Mitglieder eine Führung nicht nur durch Kunstwerke, sondern auch durch Wirkungen von Kunstwerken auf Gesellschaft / Kirche – und umgekehrt. Ferdinand Gehr stiess mit seiner Art (Art = Kunst) oft auf Ablehnung und Unverständnis. Aber aus heutiger Sicht leistete er den wohl wichtigsten Beitrag zu Erneuerung der sakralen Kunst in der Schweiz! Auch davon erzählt das Jahrbuch 2017/2018.
Kunststück Kunst: Wer sich fürs aktuelle Jahrbuch wie für bisherige Ausgaben ab 2010/2011 interessiert – siehe www.lukasgesellschaft.ch