Von Konstanz bis Lindau am See, im See, auf dem See

In Konstanz starten Rosmarie und ich am 17. Juli 2022 zum zweiten Teil der Wanderung um den Bodensee. Zuerst feiern wir meinen Geburtstag mit Familie und Freunden im Restaurant „Konzil“. In diesem historischen Haus fand am 8. November 1417 die bisher einzige Papstwahl jenseits der Alpen statt. Nachdem drei gleichzeitig amtierende Päpste abgesetzt worden waren, wählte das Konklave den Italiener Oddo Colonna zum neuen Papst. Dieser nahm, nachdem er sofort die Weihe zum Diakon, zum Priester und zum Bischof erhielt, den Namen Martin V. an. (Warum kommen um Himmels willen Päpste schon wieder in meinem Blog vor? Gute Frage an Psychologen.)

Wir starten also in Konstanz. Im 10. Jahrhundert regierten dort zwei Bischöfe, die sich der Aufgabe stellten, aus der Bischofsstadt am Bodensee „ein zweites Rom“ (Roma secunda) zu kreieren. Weniges davon ist sichtbar, vieles verschwand – nur Rom ist eine „Ewige Stadt“. Immerhin hatte Konstanz das Glück, weder im Dreissigjährigen Krieg (1618-1648) noch im Zweiten Weltkrieg (1939-1945) zerstört worden zu sein. Anfang Juli sammelte ich zu früheren Geschichten von Konstanz ein paar Bausteine, zu lesen in der Rubrik Lauf der Zeit unter Geschichte vor Ort. Ausserdem lege ich zur Region Bodensee Historisches bei – und einen Text, der fast Gegenwart geworden wäre, wenn die Expo 2027 in der Ostschweiz stattgefunden hätte. (Warum sie nicht stattfinden wird, müsste man ebenfalls Psychologen fragen.)

Ein See – drei verschiedene Pegelnullpunkte
In sieben Tage kommen Wanderschuhe und Rucksack zum Zug, präziser zum Bodensee-Rundweg. In den ersten zwei Etappen halte ich mich in der alten Bischofs- und Konzilsstadt auf. Dort gibt es für mich noch manches zu entdecken. Die dritte Etappe führt auf 26 Kilometern an der Insel Mainau vorbei nach Bodman, wo im 8. Jahrhundert eine karolingische Königspfalz stand. Karolinger spielten am Bodensee eine entscheidende Rolle bei der Christianisierung der Alemannen. Um ihre Politik durchzusetzen, liessen sie u.a. Klöster auf der Insel Reichenau sowie im Arboner Forst gründen und gaben dem See den heutigen deutschsprachigen Namen. Im Englischen und Französischen bezieht sich dessen Name auf die grösste Stadt, auf Konstanz. Noch eine Besonderheit: weil drei moderne Anrainerstaaten das grosse Wasser beanspruchen, existiert bis heute eine spezielle Masseinheit. Nicht nur kennt der Bodensee keine offiziellen Grenzlinien, auch Pegelstände werden aufgrund von drei Meeren ermittelt! Der Romanshorner Pegel bezieht sich auf den Nullpunkt Repère du Niton im Genfer Hafenbecken. Dessen aktuelle Höhe beruht auf Messungen am Mittelmeer in Marseille. Der Pegelnullpunkt in Bregenz bezieht sich auf den Molo Sartorio im Hafenbecken von Triest an der Adriaküste des Mittelmeers (+ 7 cm gegenüber der Schweiz). Der Pegelnullpunkt im Hafen von Konstanz steht in Relation mit Amsterdam (+ 32 cm gegenüber der Schweiz). Amsterdam ist durch den Nordseekanal mit der Nordsee verbunden. Was aber interessieren national bestimmbare Pegelstände, wenn der Bodensee, wie viele andere Gewässer, aktuell sehr wenig Wasser beinhaltet? Im Onlinemagazin Wandern um den Bodensee 2022 auf www.buenzli-buob.ch schreibe ich vom 17. bis 29. Juli ein tägliches Blog über meine Wanderung bis Lindau und notiere Interessantes zu besuchten Orten am Weg. Rosmarie steuert Fotos bei.

Die andere Seite des Sees
Meine Wanderung von Konstanz via Bodman-Ludwigshafen, Überlingen, Salem, Birnau und via Meersburg, Friedrichshafen nach Lindau führt mich am Nordufer des Bodensees entlang. In Arbon am Südufer aufgewachsen, sah ich von meinem Elternhaus nach Friedrichshafen und Langenargen hinüber. 14 Kilometer Distanz trennte mich vom anderen Ufer. Als Kind erschien mir Deutschland als fremder Kosmos. Nur sehr selten fuhren wir dorthin, um entfernte Verwandte (!) zu besuchen. Der See stellte eine deutliche, auch politisch-kulturelle Grenzlinie dar. Heute weiss ich, dass die Region Bodensee historisch gesehen bis vor kurzem eine einheitliche alemannische Welt umfasste. Erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts benebelten in den Köpfen diesseits und jenseits des Sees diverse Grenzen den vormals klaren Blick. Der Zweite Weltkrieg mit Bombenangriffen auf Friedrichshafen verstärkte schweizerische Abneigungen gegen Nazi-Deutschland. Bis Ende Juli werde ich auch durch Friedrichshafen und Langenargen gewandert sein. Und mir kurz in Erinnerung gerufen haben, wie ich Anfang März 1963 als 11-jähriger auf Schlittschuhen den Bodensee von Arbon nach Langenargen und zurück überquerte: die letzte Seegfrörni als Fest der Völkerverbindung und natürlich-friedliches Zeichen. Leider wird es im Raum Bodensee keine Expo 2027 geben, wo auf schwimmenden Plattformen im See (Rang 2 in der Jurybewertung) ein nächstes Fest hätte stattfinden können.

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