Liste 30. Liste 31

Manchmal sehe ich unterwegs ein Wort, das in meinem Kopf spontan eine Kaskade von Begriffen auslöst. Heute war es die Schlagzeile eines Zeitungsaushangs: „Mythen sind stärker als Fakten“. Das ist zwar nichts Neues. Mich inspirierte diese Schlagzeile aber gleich zum Anlegen von zwei neuen Listen. Liste 30: „Was im Leben zählt“. Liste 31: „Was im Leben nicht zählt“. Ich bin bekannt dafür, einige meiner Tätigkeiten und Erlebnisse in Listen zusammenzustellen. JedeR hat eine Sammelleidenschaft. Oder einen Ordnungsfimmel. Oder … (es soll zu solchen „Eigenschaften“ keine neue Liste geben …) Die erste Liste – die Mutter aller Listen – listet 28 weitere Listen auf. Heute kommen zwei dazu.

Liste 30: Was im Leben zählt
Emotionen
Irrationales
Mythen und Selbstmythologisierung
Ignoranz
Machtpolitik
Interessenvertretungen
Religionen mit ihrer Theatralik
Projektionen
Unterstellungen
Behauptungen
Ideologien
Geschichtsklitterung
Ganzheitliches
Bauchgefühle
Körpersprache
Gruppenidentitäten
Schwarmverhalten
Zufallendes
Jugendkult
Schönfärberei
Gesundheit
Mein subjektiver Ich-Kosmos

Liste 31: Was im Leben nicht zählt
Vernunft
Wissen(schaft)
Keine-Ahnung-haben
Intellekt
Denken
Logik
Das muss sich ändern
Geschichte
Erfahrung
Zusammenhänge
Hintergründe
Fragmente
Zufälle
Zeichen von Schwächen und Krankheiten
Alt werden
Mein subjektiver-Ich-Kosmos (Life ist not about me)

Wie alle meine 29 bisherigen Listen, sind auch die beiden neuen Listen 30 und 31 selbstverständlich unvollständig, fragmentarisch. Einige Begriffe können auf beiden Listen vorkommen – je nach Sichtweise. Und wenn ich lange an den Listen herumbasteln würde, könnte deren Umfang ausgebaut werden. Ich lasse es.

Ordnen Sie Ihr Leben – oder einen Teil davon – ebenfalls listenmässig und somit einigermassen übersichtlich? Oder verzichten Sie listigerweise auf Listen? So sei es, sagen Sie, Ausnahme sei das Studium der aktuellen Rangliste im Fussball. Sie müssten natürlich wissen, wie viele Punkte Ihr Lieblingsclub noch brauche, damit das Abstiegs-Gespenst verbannt wäre. Der Vorteil einer Rangliste: sie kann sich von Spiel zu Spiel verändern – im Guten wie im Schlechten. Die Hoffnung, dass es aufwärts geht, stirbt zuletzt. Doch diese wäre wiederum Teil einer anderen Liste.

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Hören und mischen

Kopfhörer mit „Noise Cancelling“ lassen laute Geräuschkulissen verstummen, praktisch für Leute, welche klassische Musik geniessen. Ich höre gerne Geräusche, Nebentöne, Vogelgezwitscher. Kopfhörer ohne NC lassen mir „die Welt“ ans Ohr.

Eine Szene aus einer früheren beruflichen Tätigkeit ist mir vor Augen. Ich sitze an Sonntagabenden am Mischpult im Studio des Bieler Lokalradios Canal3 und stelle meine Sendung zusammen. Mit Kopfhörer, ein wichtiges Utensil. Via Mischpult kommen meine Interviewgäste, mein Moderationstext, meine Musikauswahl, der Jingle des Radios und der Jingle meiner Sendung sowie hie und da spezielle Geräusche auf einem grossen Band zusammen. (Damals ging es im Studio noch analog zu und her.) Das Tonband wird drei Tage später im Radiostudio abgespult.

Hören und mischen habe ich im übertragenen Sinn für das Herstellen eines neuen Textes verwendet: Mit Kopfhörer am Mischpult „Welt“. Essay in sieben Bildern. Hier sind 17 Seiten zu lesen. Kopfhörer brauchen Sie dafür nicht, höchstens eine Brille.

Im Lauf der Tage, Wochen und Monate sammle ich in meinem Büro Material, das ich vielleicht für ein zu schreibendes Buch oder für kürzere Texte verwende. Input vor Output. Es handelt sich um Zeitungsartikel, Reisenotizen, Abschnitte aus Büchern und Zeitschriften, um Kenntnisse aus Philosophie und Psychologie. Es sind soziologische, kulturelle, religionswissenschaftliche, politische Beobachtungen. Das Material vergleiche ich mit farbigen Fäden, die in einer Weberei zu Teppichen gewoben werden. So sehe ich mich als Weber, der Textteppiche herstellt.

Hören und mischen, das gefällt mir. Ich bin gern in meiner Textteppich-Manufaktur, in meiner Werkstatt. Handarbeit und Kopfarbeit verbinden sich.

Sieben Bilder
Die Textweberei bildet das erste Bild meines neuen Essays. Das zweite Bild kommt in Ihrem Alltag vor, liebe Leserin, lieber Leser. Ich ziehe einen Bogen von der Zeitung auf Papier zur Zeitung auf dem Smartphone bis zu maschinellen Lerntechnologien, die als KI bezeichnet werden. Als regekult-Konsument:innen benutzen Sie wohl eine Vielfalt von Medien.

Mein drittes Bild umfasst fünf Seiten. Dessen Überschrift: Es rumort. Jetzt hat der Kopfhörer ohne NC eine wichtige Funktion: hinhören, was sich zur Zeit entwickelt an der Oberfläche wie im Untergrund unserer Gesellschaften. Es rumort. Das ist zwar nichts Neues, doch das Rumoren verstärkt sich möglicherweise gerade in manchen Bereichen. Ich zähle im Essay einige auf. Ob es nächstens auch bei uns zu grösseren Eruptionen kommt? Ungewissheiten wachsen. Eine mögliche Reaktion: den Kopf in den Sand stecken und abwarten. Oder Kopfhörer aufsetzen und genau hinhören. Unbequemes aushalten, politisch handeln.

Mein viertes Bild stellt Tausendfüsser* vor. Sie inspirieren mich. Sie gehen, spielen, tanzen auf dem Boden der Erde. Selbst wenn einmal ein Fuss stolpert oder straucheln sollte – andere Füsse halten das Gleichgewicht des Wesens, es kann nicht fallen. Miteinander bauen Tausendfüsser* Welt. Als Tausendfüsser* grüsse ich meine 999 Mittausendfüsser*!

Das fünfte Bild lädt ein, Kulturlandschaften zu erwandern, als Tausendfüsser* unterwegs zu sein und unterwegs zu bleiben. Und dabei nicht zu vergessen, zu welchem Milieu ich gehöre – und zu welchen Milieus andere zu zählen sind, die anders denken und anders fühlen wie ich.

Das sechste Bild wirft einen Blick hinaus in den Weltraum. Das machen für uns Teleskope wie James Webb, Euclid, Tess, Cheops und bald einmal die Weltraum-Antenne LISA. Sie bringen neue Bilder in unsere Köpfe. Ob diese neuen Bilder auch zu neuen Überzeugungen und Denkmodellen in unseren Köpfen führen werden? Das Fragezeichen steht. Ob unser Gehirn mitmacht bei der Suche nach Antworten? Es ist bekanntlich „eine faule Sau“… Und von „Vernunft“ zu reden, sei illusorisch, sagen Hirnforscher:innen.

Das siebte Bild kommt auf das Mischpult zurück. Am Mischpult „Welt“, so (m)eine mögliche These, wäre es vorteilhaft, im Plural zu leben. Eine lebbare Möglichkeit?

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Verlieren Kirchen an Bedeutung?

Die neuesten Zahlen stammen vom Jahr 2022. Erstmals zählt das BfS in der Schweiz die Konfessionslosen als grösste Gruppe in der Liste (nicht-)religiöser Gemeinschaften. Laut Statistik gehören dieser Kategorie 33,5 Prozent an. Katholiken machen 32,1 Prozent aus, Protestanten 20,5, Muslime 5,9 Prozent. Die Zahl der Konfessionslosen dürfte 2023 weiter zugenommen haben – und wird wohl auch 2024 steigen. Die Tendenz ist klar: Kirchen verlieren statistisch gesehen öffentlich an Bedeutung. Glaubensfreiheit wird ernst genommen. Das betrifft besonders ehemals kirchliche Milieus in Städten, bei jüngeren Generationen sowie bei gut ausgebildeten Menschen.

Im Jahr 2022 sind mehr als 60‘000 Menschen aus einer der Kirchen ausgetreten, ein Rekordwert. Soziolog:innen benennen eine fortdauernde Modernisierung und Säkularisierung der Gesellschaft als eine der Ursachen. Kritische Anmerkungen: Offizielle liturgische (gottesdienstliche) Sprache, Predigten und Rituale nehmen Lebensrealitäten nicht auf. Frauen werden gerade in der offiziellen römisch-katholischen Kirche weder auf breiter Ebene noch in der Hierarchie gepusht. Wissenschaftliche Erkenntnisse und religiöse Formulierungen liegen für die meisten meilenweit auseinander, Religion wird mit dem Stempel der Illusion oder mit jenem des Altmodischen versehen. Dazu kommt, dass kirchliche Mitarbeitende oft als links, ökologisch, moralisierend und pazifistisch oder im Gegenteil als äusserst konservativ wahrgenommen werden – für ein bürgerliches Milieu jedenfalls als sehr einseitig. Modernes Management und Unternehmensführung scheinen Fremdwörter zu sein. Zu Kirchenaustritten motivieren ausserdem nicht abreissende Meldungen über sexuelle Missbräuche in kirchlichen Institutionen, ein Missstand nach dem andern wird aufgedeckt – bei katholischen wie reformierten Amtsträgern. Ein dunkles Kapitel der Kirchengeschichte.

Soziale Projekte sind not-wendend
Unsere Gesellschaft versteht sich vermehrt postkirchlich. Und weil den Kirchen mit dem Mitgliederschwund auch Kirchensteuern wegbrechen, haben sie weniger Geld für soziale und caritative Projekte – für Projekte, die auch von Leuten positiv gesehen werden, die keinen Bezug zu einer Kirche haben. Ein Teufelskreis (um einen drastischen Begriff zu verwenden). Doch gerade soziale Projekte sind und wären heute vermehrt not-wendend. Denn moderne Menschen sind nicht besonders glücklich und psychisch eher angeschlagen angesichts der aktuellen Weltlage. In grosser Zahl werden Depressionen diagnostiziert, selbst bei Kindern und jungen Menschen. Resilienz nimmt ab, Hoffnungslosigkeit zu. Der Medikamentenkonsum erreicht Rekordhöhen. Es gibt in allen Generationen manche, die sich einsam und verlassen fühlen. Daran ändern sogenannte soziale Medien nichts. Oder sind sie eher ein Teil des Problems?

Zeit für einen Kaffee
Wenig berichtet wird in Radio, Fernsehen und Print davon, dass unzählige aktive Frauen, Männer und Jugendliche gerade als normale Kirchenmitglieder Sozialzeit einsetzen, um in der Nachbarschaft, im Quartier, im Dorf, in Vereinen, Organisationen und in befristeten Projekten „sozialen Kitt“ herzustellen – unentgeltlich, gratis, aber nicht vergebens. Sie gehen an die Front von Vereinzelung oder Einsamkeit. Sie kennen Leute vor Ort mit Namen. Sie haben Zeit für „einen Kaffee“, für spontane Gespräche, die gut tun.

Diese Art von Kirche ist unverzweckt, absichtslos, kreativ. In Gestalt von Frau X und Herr Y kommt sie wie eine Frühlingsblume daher, wie ein Gedicht, wie ein schönes Musikstück oder wie ein wärmender Sonnenstrahl. Sie missioniert nicht, macht kein Bibelseminar. Sie ruft nicht auf, am nächsten Sonntag den Gottesdienst zu besuchen oder eine grosse Kollekte zu spenden. Bibelsprüche, Katechismus-Sätze und dogmatische Lehrformeln hat sie nicht auf Lager, weil das heute nicht gefragt ist. Gefragt sind: Ein strahlendes Gesicht. Etwas Humor. Ein aktives Zuhören mit Raum für Stille. Empathie und Sympathie fürs Gegenüber. Ein gemeinsames Unterwegssein.

Mit dieser Art (= Kunst) behalten und gewinnen Kirchen Bedeutung im Kleinen , oft im Verborgenen. Kirchenkunst auf Augenhöhe. Mitten im Alltag.

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Ein dreifaches Hoch auf das Leben

„No news are good news“, so heisst eine klassische Redewendung. Solange ich nichts von Dir höre, gehe ich davon aus, dass es Dir gutgeht. Solange ich keine Todesanzeige mit Deinem Namen, liebe Leserin lieber Leser, sehe, nehme ich an, dass Du lebst. Phantastisch! Eine etwas einfache Schlussfolgerung, ich weiss. In der Medienbranche hingegen werden bad news als good news verkauft. Wer interessiert sich schon für eine Zeitung voll mit schönen guten Nachrichten? Doch es gibt eine Gegenbewegung: News-Deprivierte. Ein neuer Begriff. Rund 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung sollen dazu zählen. Sie verzichten auf jenen Medienkonsum, der sie mit bad news wie Krieg, Umweltkatastrophen, Gewalt, Terror, Konflikte, Dummheit, Politik u. ä. versorgen will. Kein Interesse an schlechten Nachrichten hätten sie. Informationsjournalismus verliere an Bedeutung und Relevanz.

Ich spiele gern mit Zahlen. Der Planet Erde entstand vor rund 4,5 Milliarden Jahren, das Universum ist ein Stück älter. Leben auf der Erde soll mindestens 3,5 Milliarden Jahre alt sein. Ich kann mir das nicht vorstellen mit meinen wenigen bald 72. In der Luft, in der Wüste, in den Ozeanen, in der Erdkruste, auf den höchsten Bergen – in jedem Kubikzentimeter ist Leben zu finden. Phantastisch! Pflanzen machen den grössten Teil der Biomasse aus, sagen Fachleute. Bakterien folgen mit Abstand an zweiter Stelle. Tiere und Menschen steuern einen verschwindend geringen Anteil zur Gesamtbiomasse bei. Life ist not about me. Was Bakterien, Archaea und Eukaryoten (= die drei Domänen der Lebewesen) betrifft, so würden wir laut Schätzungen einen grossen Teil der Biomasse gar nicht kennen. Auf der Erde gibt es noch viel Leben zu entdecken. Ein Beispiel ist unsere Darmflora. Im Mikrobiom findet sich „das dichtbesiedeltste Gebiet der Erde“ (Maria Balmer). In der Innenseite des Darms wirken ca. 10 Billionen Bakterien, verteilt auf zwei Hauptgruppen. Das Mikrobiom sei ein komplexes System, schwierig zu erforschen. Hier ein Seitenblick zum ebenfalls komplexen Universum: dort steht die Forschung ja auch am Anfang – siehe Blog vom 30. November. Phantastisch! Dreimal phantastisch – ein dreifaches Hoch auf das Leben!

Starker Zusammenhang
Die diversen Lebensformen auf der Erde weisen eine fundamentale Gemeinsamkeit auf: alles bekannte Leben lasse sich auf einen einzigen Ursprung zurückverfolgen (möglicherweise haben sich andere Lebensursprünge nicht durchgesetzt). Alles Leben sei direkt miteinander verwandt! Ohne Pflanzen und Algen gäbe es keinen Sauerstoff. Ohne Sauerstoff gäbe es keine Tiere und Menschen. Geosphäre, Hydrosphäre, Atmosphäre, Biosphäre – alles sei miteinander durch ein gigantisches chemisch-physikalisches Netzwerk verbunden. Wunderbar! (Und ich habe keine Ahnung ..) Was auch die Wissenschaft (noch?) nicht weiss: wo, wann, wie fand der Übergang von unbelebter Materie zu Leben statt? Zwar lassen sich dem Leben (wie wir es kennen), Eigenschaften zuweisen, aber eine naturwissenschaftliche Definition, was Leben „wirklich“ ist, gebe es nicht. Tröstlich! Zu Hilfe kommt höchstens Poesie. Doch sie definiert nicht, sie schildert Bilder.

Wo kommen wir her? Keine Ahnung! Heute bilden sich koordinierte interdisziplinäre Ansätze, um diese Frage(n) anzugehen. Auch die ETH in Zürich beteiligt sich mit anderen Universitäten in entsprechenden Forschungszentren. Statt Antworten dürften dabei weitere vielschichtige Fragestellungen auftauchen. Und Sokrates lacht sich wohl ins Fäustchen: „Schon vor langer Zeit soll ich gesagt haben ‚Ich weiss, dass ich nichts weiss.’“

Wo gibt es Leben?
Einige Leute beschäftigt die Frage, ob es ausserhalb der Erde Leben gebe. Oder ist die Frage falsch gestellt, weil sie von unserem Verständnis von Leben ausgeht? Könnte „Leben“ auch ganz anders daherkommen? Im Augenblick kommen Exoplaneten ins Blickfeld der Forschung, Planeten, die um andere Sterne kreisen. In den letzten 30 Jahren wurden mehr als 5500 Exoplaneten entdeckt, und diese Zahl steigt fast wöchentlich an. Der Umkreis der Entdeckungen „beschränkt“ sich zur Zeit auf 3000 Lichtjahre Entfernung. Das All ist viel grösser, heisst es. Kennen Sie immerhin den sonnennächsten Stern? Er wird Proxima Centauri genannt und wird von mindestens zwei Planeten umkreist. Proxima Centauri ist mit dem „Stern von Betlehem“ aus dem biblischen Mattäus-Evangelium jedoch nicht verwandt, von diesem ist in einer ganz anderen Tradition und Erzählung die Rede – beschrieben im „regekult-Tagebuch vom 6. Januar 2018“, hier nachzulesen.

Ein Hoch auf das Leben – und FROHE WEIHNACHTEN!

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