In Arbon am Bodensee bin ich 1952 geboren und aufgewachsen. Bis heute habe ich Interesse an Geschichten der kleinen „Stadt mit Weitblick“. Sie weisen einen Zeitraum von mehr als 5000 Jahren auf.
Eine erste Siedlung entsteht in der ersten Hälfte des 4. Jahrtausends v. Chr., in der Pfyner Kultur.
Später kommen die Römer und nennen ihr Kastell Arbor felix. Und ich lerne in der Schule Lateinisch.
Um 610 wandern Kolumban und Gallus via das heutige Luxeuil-les-Bains nach Arbona. Gallus – er soll aus den Vogesen und nicht aus Irland stammen – wird krank, bleibt, zieht ins Steinach-Tobel und stirbt später am Bodensee. Die Gallus-Kapelle direkt neben der Martins-Kirche erinnert an ihn. Dient Arbon damals kurzzeitig als Bischofssitz? Nach Vindonissa und Pfyn, vor Konstanz? Möglicherweise.
Eine Urkunde von 1155, ausgestellt von Kaiser Friedrich I. Barbarossa, bestätigt in Arbon eine Pfarrkirche. Sie gehört dem Domstift in Konstanz, Zentrum des grossen Bistums Konstanz. Die Urkunde umschreibt auch den weitläufigen Arboner Forst.
Fürstbischof Hugo von Hohenlandenberg (1457–1532) lässt in Arbon das bischöfliche Schloss zu seiner heutigen Form ausbauen. Er benutzt es als repräsentative Nebenresidenz. Der Landenbergsaal im Schloss zeugt davon.
Im Jahr 1768 wird Johann Heinrich Mayr in Arbon geboren. Er baut einen Textilkonzern auf mit Niederlassungen in Arbon, Rheineck und Mühlhausen. Nach dem Rückzug aus dem operativen Geschäft schreibt er seine Lebenserinnerungen auf. Es werden über 3500 Manuskriptseiten. Kurt Buenzli, mein Bruder, konnte sie historisch-kritisch editieren und zusammen mit einem kleinen Team in 4 Bänden herausgeben. Ich bat ihn, für regekult einen Text zu verfassen: Meine Lebenswanderung, von Johann Heinrich Mayr. Der Textilunternehmer, Weltenbummler und Autor stirbt 1838. Seine Lebenswanderung liest sich als Stück Kulturgeschichte.
Wenige Jahre später, 1869, beginnt Franz Saurer in Arbon mit der Produktion von Stickmaschinen. Adolph Saurer kommt 1875 nach Arbon und baut das Geschäft aus. Die Firma Adolph Saurer AG gilt als bedeutendster Schweizer Hersteller von mittleren und schweren Lastwagen und zeitweise auch von Autobussen und Trolleybussen sowie von Militärfahrzeugen. Doch die Zeiten ändern sich auch am Bodensee. Seit 2013 gehört die Saurer AG mit den Geschäftseinheiten Naturfasern und Textilkomponenten der chinesischen Jinsheng-Gruppe. Das Saurer-Museum erinnert an die Hochblüte und an den Niedergang eines Unternehmens, in dem ich als Werkstudent Ende 60er/Anfang 70er Jahre interessanterweise nie arbeiten kann. Dennoch freue ich mich immer, wenn ich irgendwo unterwegs einem „alten Saurer“ begegne, sei es einem Lastwagen oder einem Postauto.
Aus Fehraltorf im Zürcher Oberland zieht 1919 mein Grossvater väterlicherseits nach Arbon und kauft ein Haus an der Seefeldstrasse mit Blick auf den Bodensee. In der Liegenschaft richtet er eine Schuhmacherei ein. Sein einziges Kind, mein Vater, baut die Werkstatt aus, ebenso die Familie mit 4 Kindern. Alle vier sind im Lauf der Zeit weggezogen, und unsere Eltern liegen jetzt auf dem Friedhof. In der kleinen Stadt am Bodensee.