Humorvolles gegen Hassreden

Humor. Hass. Zwei Begriffe stehen nebeneinander. Gibt es eine Verbindung zwischen den beiden? Nur ein Zufall oder doch mit Hintergedanken? Ich tippe auf Letzteres. In der NZZ vom 28. Januar 2020 finden sich im Feuilleton u.a. zwei Artikel. Der eine mit dem Titel „Nun kann uns nur noch der Humor retten“ von Roman Bucheli. Der andere mit der Überschrift „Hass ist Abkehr von der Welt“, geschrieben von Sarah Pines. Aufschlussreich sind bereits die beiden Untertitel: Bei Roman Bucheli: „Alles Lustvolle ist auf dem Rückzug. Griesgram und Verdrossenheit nehmen zu. Dagegen hilft nur eines. Lachen“. Bei Sarah Pines: „Wer hasst, sieht nur noch sich selber. Und das Gefühl schreibt sich in der Literatur fort, Absatz für Absatz.“

Ein kleiner Exkurs: Was macht das Feuilleton der NZZ aus? Welche Akzente setz(t)en deren Ressortleiter? Am 21. Januar diskutierten René Scheu, der aktuelle Feuilleton-Chef, und sein Vorgänger Martin Meyer bei NZZ live über einige Schwerpunkte ihrer redaktionellen Tätigkeit. In der Zeit von Martin Meyer waren es z.B. 60 Prozent Pflichtstoff und 40 Prozent Kür. Bei René Scheu verhält es sich umgekehrt: 40 Prozent fällt als Pflichtstoff an. Für die Kür hingegen sind 60 Prozent reserviert. Das spüre ich als langjähriger Leser. Ich bin jeden Tag gespannt auf das Feuilleton. Es ist das unberechenbarste Ressort der Zeitung mit oft überraschenden Gedankengängen. Viele Artikel verschlinge ich nicht nur mit Genuss. Ich reisse sie heraus, sammle sie analog thematisch geordnet in dicken Ordnern. Ich speichere sie digital auf meiner Merkliste. Zum Beispiel zwecks Verarbeitung für dieses Blog. Ein Text zu Humor im Feuilleton der Tageszeitung, ein Text zu Hass. Und bei mir die Idee, dieses ungleiche „Paar“ anzuschauen. Als Kür.

Hass ist eigentlich Abkehr von der Welt. Obwohl er öffentlich in die Welt geschleudert wird. Heute in Blogs, in sozialen Netzwerken, auf Strassen, in Leserbriefspalten. Hass kann nicht verniedlicht oder harmlos formuliert werden. Hass wütet.
Hass mit dessen Synonymen wie Zorn, Abscheu, Ekel, Groll oder Aversion ist ein altes Thema der Menschheit. Die Autorin greift in die Literaturgeschichte hinein. Sie zitiert den ersten Satz der „Ilias“ von Homer: „Den Zorn singe, Göttin, des Peleussohns Achilleus.“ Achilles steigert sich im Lauf des Krieges in Hass hinein. Seinen Feind Hektor macht er zum niederen Tier herunter, dessen grausame Tötung er sich erlaubt.
Hass habe mit Liebesentzug zu tun, mit dem Verlust begehrter Objekte, mit narzisstischen Kränkungen, so der Soziologe Georg Simmel. Liebe und Hass ist methodisch gemeinsam, dass sie sich auf ein Gegenüber, auf ein Objekt fixieren, auf das Nicht-loslassen-Können von jemandem oder von etwas. Hass ist jedoch, so Baudelaire, eine unersättliche Gewaltphantasie, ein Fass ohne Boden. In der Literatur schafft Hass Bilder, welche die Phantasie zwar bannen, aber nicht loslassen.
Karl Heinz Bohrer schrieb das Buch „Mit Dolchen sprechen. Der literarische Hass-Effekt“. Er unterscheidet den literarischen Hass vom Hate-Speech im Internet. Der literarische Hass banne die Einbildungskraft mit erhabenen Bildern. Er verachte Mittelmass, Dummheit, das Herausgrölen von Aversionen. Hassreden im Internet dürften wohl nie literarische Kriterien erfüllen – und richten gerade darum konkret echtes Unheil an. Wer hasst, nimmt im anderen das Ich nicht mehr wahr. Er hat nur ein negatives Bild vor sich, das er sich vom anderen macht. Darum finde Hass in Hoffnungslosigkeit statt.

Mit einem Gegenbild beginnt Roman Bucheli seinen Text, mit der Spassgesellschaft. Diese habe ihren Zenit jedoch überschritten. Nun laufe auf Hochtouren eine Gesetzgebungsmaschinerie. Regulierungslücken müssten geschlossen werden, sagen Politiker*innen. Die Liste von Verboten nehme zu im dem Mass, wie die Frustrationstoleranz abnehme. Auch Selbstregulierungen finden statt. Ein Beispiel dafür: missionarisches Engagement für genderneutrale oder gendergerechte Sprache.
Heute verlieren wir uns in einem Wald von Verbotstafeln, schaffen immer mehr ausgeklügeltere Diskriminierungsverbote. Der Autor erinnert an die Zehn Gebote im alten Israel. Damit war einmal alles Wesentliche des Alltags geregelt. In zwei handlichen Gebotstafeln – ein schönes Bild! Statt unzähliger Diskriminierungsverbote ein Satz: „Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen.“
Roman Bucheli irritieren nicht die Anliegen, für die man Verständnis aufbringen kann. Ins Grüben bringen ihn Verbissenheit und Humorlosigkeit, mit denen eigentlich gute Anliegen um- und durchgesetzt werden. So kippe die Spassgesellschaft in ihr Gegenteil und werde zur Verbots- und Unlustgesellschaft. Was wird wohl als Nächstes verboten werden? Erleben wir gerade einen Epochenwandel? Bricht ein neues viktorianisches Zeitalter an, in dem ein rigider Moralismus und ein lustloser Dogmatismus sich zum Spiessertum verbünden werden? Gibt es bald nur noch schwarz oder weiss, gut oder schlecht? Und wer bestimmt diese Weltanschauung? Fragen über Fragen.
Eine Antwort auf zunehmend humorlose Zeiten: „Da kann die Devise nur lauten: Mehr Witz, mehr Komik, mehr anarchischer Humor!“
Natürlich könne kein Gesetz, keine unsinnige Verordnung mit Lachen aus der Welt geschaffen werden. Doch Unverstand lasse sich mit Mitteln der Komik lustvoll demontieren. Vorbild dafür seien Briten. Auf die ungewisse Zukunft nach dem Brexit Ende Januar reagieren sie mit ihrem typisch britisch-abgründigen Humor. Bei ihnen lohne sich ein Weiterbildungskurs zum Thema lustvolle Komik.

Wer Humorvolles trainiert, braucht keine Hassreden.

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