Aussergewöhnliche Konstellation am Himmel

Am Tag der Wintersonnenwende, am Montag, 21. Dezember, schaue ich genau um 17.15 Uhr nach Südwesten himmelwärts. Vor den Augen ein Feldstecher. Allein werde ich nicht sein bei dieser Aktion. Denn etwas Aussergewöhnliches gibt es zu sehen. Die Planeten Jupiter und Saturn kommen sich sehr nahe, so nahe wie seit dem 16. Juli 1623 nicht mehr. Die Jahreszahl 1623 ist kein Druckfehler. Werden Sie am 21. Dezember 2020 ebenfalls himmelwärts schauen? Nehmen Sie die Gelegenheit wahr, das nächste Mal kommen sich Saturn und Jupiter erst 2080 wieder so nahe.

Beim Beobachten könnte für eine aussenstehende Person (im buchstäblichen Sinn gemeint, wir stehen auf der Erde ja einige Kilometer von Saturn und Jupiter entfernt …) der Eindruck aufkommen, dass am Himmel „ein neuer Stern“ geboren werde. Tatsächlich gibt es Astronomen, welche eine frühere Planetenkonjunktion mit dem biblischen „Stern von Betlehem“ verbinden. Die Jahreszahlen der Konjunktion von 7 und 6 vor Christus im Sternbild Fische werden aus einer babylonischen Keilschrifttafel zitiert, um sie gleich mit der Geburt Jesu zu kombinieren.

Moderne Astrophysiker:innen und Astronom:innen können die Sprachspiele der verschiedenen Disziplinen selbstverständlich unterscheiden. Astronomie, Astrophysik und Theologie reden nicht vom Gleichen, selbst wenn sie ein scheinbar gleiches Bild verwenden.
Als Theologe erzähle ich den „Stern von Betlehem“ ganz anders als jene meiner Töchter, die Astrophysikerin ist. Der Autor der biblischen Erzählung, der (unbekannte) Evangelist Mattäus, schreibt aus jüdisch-christlicher Perspektive. Er ist der einzige Autor im Neuen (Zweiten) Testament, der so erzählt. Weder Lukas noch Markus, weder Johannes noch Paulus schreiben irgendetwas von einem Stern, von Weisen aus dem Morgenland (oder von anderen Details). Mattäus benutzt hier eine singuläre Tradition. Im Volksmund aber vermischten sich später besonders die Erzählungen von Mattäus und von Lukas zu einer einzigen Geschichte. Mein Job ist es, beide auseinander zu halten und ihr eigenes Gewicht zu betonen. Auch wenn meine „Erfolgs“chancen“ sehr klein sind. Ich zitiere aus einem meiner früheren Texte in Bezug auf Mattäus:

Gemäss Matthäus in Kapitel 1 + 2 kommt in der Stadt Betlehem Jesus auf die Welt. Magier aus dem Osten bringen ihm Geschenke. Maria und Josef befinden sich mit ihrem Kind in einem Haus, über dem ein Stern stehen bleibt.
Der Autor bettet das kleine Kind in 3 Traditions-Stränge und konstruiert in den Jahren zwischen 80 und 90 n. Chr. für seine Leserinnen und Leser grosse Weltgeschichte:

  • Der Stammbaum Jesu wird zurückgeführt bis Abraham. Somit rückt die ganze jüdische Geschichte ins Blickfeld.
  • Mit dem Erwähnen der Magoi kommt die persische Hochkultur ins Blickfeld, die Verbindung zu König Kyros, dem Grossen.
  • Mit der Flucht nach Ägypten kommt die ägyptische Hochkultur ins Blickfeld.

Ein Stern in der Bibel, ein Stern im Alten Orient zeigt Wunderbares an. Der Stern ist Symbol für neues, starkes Leben – ein Licht geht auf (mir geht ein Licht auf). Der Stern ist ein Orientierungspunkt, ein Wegweiser: es geht mit ihm von der Stadt aufs Land hinaus, vom Zentrum in die Peripherie – und die ganze Welt kommt in die Provinz. Mit andern Worten: Das Geheimnis des Lebens taucht dort auf, wo es niemand erwartet. Irgendwo, überraschend, unverzweckt, wunderbar.
Beim biblischen Autor Matthäus bildet der Stern eine literarisch-symbolische Einkleidung, eine „invention of tradition“ für den Weg, der Magier aus dem Osten zum neugeborenen Heilskönig, zum „Stern aus Jakob“ führt. Matthäus kennt Geburtsgeschichten in der antiken orientalischen Welt, die von grossen Figuren – Helden, Könige, Profeten – erzählt werden. Bei vielen von ihnen kommt bei deren Geburts-Erzählung ein Stern vor. Darum muss auch bei seiner Hauptfigur, bei Jesus, ein Stern eine bedeutende Funktion übernehmen. Es ist ein theologischer Stern und kein astronomischer. Er hat nichts zu tun mit der Planeten-Konjunktion von 7/6 vor Christus.

Nur Matthäus, ein sogenannter Judenchrist, komponierte die Geburtsszene Jesu als „Erzählung vom verfolgten und geretteten Königskind“. Im Alten Orient verstand man solche Formulierungen. Denn sie werden unter anderem erzählt von Mose, von König Mithridates VI., vom Romulus und Remus, von Augustus, von Nero, von Gilgamesch, von Kyros dem Grossen, von Zarathustra, von Herakles und Apollo, auch von Krishna und vielen andern. (Es ist kein Zufall, dass nur Männer erwähnt werden. Die offizielle Religion, damals in der biblischen Umwelt ebenso wie heute, wird von ihnen dominiert und formuliert.)
Das männliche Königskind kommt im Zeichen eines bedeutenden Sterns zur Welt, wird verfolgt, muss fliehen, wird gerettet – und dafür werden andere Kinder getötet.
Solche Erzählungen sind nicht historisch zu lesen, sondern symbolisch, mythologisch oder theologisch. Sie erfinden Traditionen. Bei einem König, bei einem Messias, bei einem Gottessohn muss schon die Geburt etwas Aussergewöhnliches sein, etwas Spezielles. Für die ersten Christen in den Gemeinden des Matthäus war klar: Jesus gehört in diese Erzähltradition hinein. Darum der Stern über Betlehem, darum Magier aus Persien, die mit Betlehem verbunden sind, darum die Flucht nach Ägypten, damit Jesus, wie einst über Mose erzählt, vom Nil nach Israel wandern kann.

  • PS 1: Wenn Sie über Betlehem (inkl. Stern) und über Persien (inkl. Magier) mehr lesen wollen, dann klicken Sie hier.
  • PS 2: Im „Magazin“ der TA-Medien sowie im Wochenendbund der NZZ lesen Sie heute (19. Dezember) eine Kolumne des Astrophysiker Ben Moore und einen längeren Text von Thomas Baer. Beide befassen sich ebenfalls mit dem „Stern von Betlehem“ und der Planeten-Konjunktion vom 21. Dezember.< /li>

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